|

 |
>> text: rent a jacket, rent a house, rent a
PC or TV, rent a dog, rent a car, “rent an artist”
>> text: anruf genügt: ein mann für alle
fälle „rent an artist“ von volker bauermeister
|
|
|
rent
a jacket, rent a house, rent a PC or TV, rent a dog, rent a car,
“rent an artist”
I. Zur Analyse der Situation
Ein neuer Stadtteil, der an die Peripherie von Freiburgs-Mitte gebaut
wurde: das Rieselfeld. Ein neuer Stadtteil, der die Möglichkeiten
es modernen und zeitgerechten Wohnens in neuartiger Weise berücksichtigt.
Der neue Stadtteil Rieselfeld: ein Versuch, die Gefahr der Ghettoisierung
von Randbebauung durch eine offensive, nach allen sozialen Bedürfnissen
ausgerichtete Wohnraumherstellung zu vermeiden. Das Rieselfeld –
ein Experiment, neues zeitgerechtes Wohnen mit sozialen Bedürfnissen
zu koordinieren.
II. Was will das Neue?
Das Besondere an der in der Neuzeit verbreiteten Auffassung des
Neuen besteht ja gerade in der Erwartung, es werde schließlich etwas
so endgültig Neues in Erscheinung treten, dass es nach ihm nichts
noch Neueres mehr geben könne, sondern nur noch die uneingeschränkte
Herrschaft dieses allerletzten Neuen über die Zukunft.“ (Boris Groys:
Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie, München/Wien 1982)
Gerade im Blick auf den neuen Stadtteil Rieselfeld wird deutlich,
wie problematisch diese Auffassung des Neuen ist, muß der Stadtteil
doch zukünftig seine Neuheit preisgeben, damit das Experiment gelingt.
Dem Neuen entgegengesetzt ist die Identifikation (mit dem eigenen
Stadtteil), bzw. die Integration (in die Gesamtheit der Stadt Freiburg).
III. Das Neue darf nicht ewig sein
Zwischen der euphorischen Bestimmung des Neuen als innovativer Fortschritt
und dem völligen Verschwinden des Neuen (hier verbergen sich natürlich
in nuce zwei divergierende geschichtsphilosophische Auffassungen,
verkürzt mit den Schlagworten Moderne versus Postmoderne wiedergegeben)
– bleibt die Faszination des Neuen im positiven Sinne als Wahrnehmung
des Anderen, als Wahrnehmung dessen, was befragbar bleibt, offen
für wertsetzende Deutungen, für eine Sehweise, die das Konstrukt
des Neuen nicht nur als eine chronologische Abfolge von vorgefertigten
Parametern beschreibt.
IV. Der Alltag als das Neue
„Alltäglich ist das, was alle Tage geschieht, was uns deshalb nicht
überrascht und dem wir mit Gewohnheit, mit habitualisierten Vollzügen
begegnen können“. (Hans Paul Bahrdt, Grundformen sozialer Situationen,
München 1996) Der Alltag als eine Abfolge von ritualisierten und
eingeübten Handlungs- und Begriffsweisen ist jedoch der Garant und
der Ausgangspunkt für das Neue. Das „Neue“ wird in dem Kontext als
Neues, als eine Störung wahrgenommen. Dieses „Neue“ bedarf einer
Definition, einer Struktur, die man als Neugierde, als einen Zeit/Raum
zwischen Differenz und Identität bezeichnen kann. Diese Neugierde
macht es möglich, dass das „Neue“ dem Alltag in anderer Form und
anderer Struktur wieder zurückgegeben wird, geschenkt wird.
|
|
|
|
|
|
|
Anruf
genügt: Ein Mann für alle Fälle
„Rent an artist“: Swen Daemen
stellt seine Arbeit als Stadtteilkünstler im Freiburger Rieselfeld
vor.
Auf einem Tisch liegt dies und jenes. Der Einkauf eines Tages und
eben da hampelt ein Kind ins Bild. Hier ist gerade frisch gestrichen.
Auf einem Fliesenboden dort stehen Scheuereimer und Schrubber parat.
Das da ist übrigens eine chinesische Säge. Impressionen aus dem
Alltag. Ort des Geschehens ist der neue Freiburger Stadtteil Rieselfeld.
Was den Gegenstand der Fotos aus der Beliebigkeit heraushebt ist,
dass es die Fotos gibt. Die Tatsache: dass einer mit dem Interesse
des Zeugen dahintersteckt. Swen Daemen versteht sich als eine Art
Feldforscher. Daemen ist Künstler – hier in der Rolle des Stadtteilkünstlers
im vom E-Werk betreuten Projekt „Quartier“.
Ziel des Unternehmens ist es, alternative (das heißt, möglichst
kommunikative) Varianten für Kunst im öffentlichen Raum zu finden.
Abzuweichen von dem Schema, das den Stadtbewohnern eine Rolle ganz
am Schluss – als stumme Betrachter unveränderlicher „Werke“ zuweist.
Hier sollte einmal Kunst kein Atelierprodukt sein. Swen Daemen nahm
den Vorsatz in seinem Beitrag nun besonders wörtlich: „Rent an artist“.
Der Künstler als Laufbursche und
Handwerker
An die 800 Handzettel hat er zusammen mit dem E-Werk Koordinator
Christopf Schneider in Rieselfeld-Briefkästen gesteckt – und noch
dem ein oder anderen in die Hand gedrückt. Ein Künstler steigt vom
hohen Ross, ist sich für nichts zu schade und offeriert ganz schlicht
seine Arbeitskraft. Ungewöhnlich ist das heute nicht. Kunst als
Dienstleistung, als sozial verortete Praxis. Gar nicht so wenige
Künstler laufen ja, der allzu heftig gründlich gepflegten Autonomie
ihrer Sache müde, mittlerweile auf diesem Gleis.
Daemen ließ sich von den Leuten sagen, was im einzelnen zu tun sei.
Und das war allerhand. Man soll nicht denken, dass die Arbeit ein
schieres Vergnügen war. Sie wollte ja ernsthaft erledigt sein gratis,
aber effektiv. Von Happening war nicht die Rede. Da tat einer als
Handwerker, Laufbursche und Babysitter sein Bestes. Im fliegenden
Rollentausch. Hier war ein Boden zu scheuern, da ein Zwischenboden
überm Klo zu installieren. Und dann immer diese Fragen, davor, danach
und nebenbei. Warum machen Sie das? „Ich möchte nah am Alltag dran
sein“, sagt der Künstler. Und wo bitte bleibt die Kunst? Das wäre
auch eine Frage. Aber genau besehen ist es ja gar nicht so, dass
jede Kunst-Grenze einfach weggewischt und die Kunst hier der Beliebigkeit
überlassen ist. Denn wie die Verrichtung die ihm aufgetragen wird
auch aussieht, eine Rolle behält der Künstler auf seinen Ausflug
in den Alltag ja eben bei: die des Rechercheurs. Der Fotoapparat
ist immer zu Hand – ein Indiz für die kleine, aber signifikante
Distanz des Betrachters gegenüber dem Beobachteten, des Dienstleistenden
gegenüber dem Dienst. Und der Forscher mit Bohrer, Säge, Einkaufstüte
und Kamera ist kein Soziologe, sondern er denkt als Künstler in
Bildern. Nach den Fotos, die er gesammelt hat, zeichnet er, und
zur Finissage des Auftritts im Stadtteil soll ein Video gehören.
Auch im Kunstverein im Marienbad will der Ex-Freiburger Daemen,
der jetzt in Berlin lebt, später im Jahr eine Recherche in einen
poetisch hingetupften Rahmen fügen. In der Halle herumflatternde
Schmetterlinge werden per Bewegungsmelder Videotapes aktivieren,
die weiträumig ums Thema „Orientierung“ kreisen: Orientierung der
Pferde beim Pferderennen, Interaktion eines Paares beim Tanz – sowie
der Protagonisten in Jack Kerouacs Kultroman „Unterwegs“, deren
planlose Ortswechsel sich doch immer wieder zu Begegnungsmustern
fügen.
Eine Offenheit der Orientierung. Auf das Phänomen der Ungebundenheit,
der überraschend locker gestrickten Lebenspläne ist Daemen auch
bei seinen Auftraggebern im Rieselfeld gestoßen. Die Leute – die
neue Wohnung mag schön sei, wie sie will – richten sich in Freiburgs
Westen nicht für immer und ewig ein. Sie sind nur auf Abruf da.
Im Schlafzimmer wartet der Koffer.
Mit dem Kunstbegriff allerdings steht es anders. So offen, wie ihn
„Rent an artist“ fortführt, stößt er doch immer auf Verwunderung,
wenn nicht gar Scheu – selbst bei diesen rundherum aufgeschlossen
wirkenden Menschen, von denen viele den Künstler denn auch gar nicht
als Handwerker und Helfer zweckentfremden, sondern als den engagieren
wollen, der er eigentlich ist. Erstaunlich viel Kunstaufträge haben
Daemen also erreicht. Jetzt malt der gelernte Steinbildhauer Kamele
auf Beton. Oder auch mal ein Dante-Zitat auf blauen Grund. Kunst
am Bau, wie eh und je. Aber in diesem Fall kostenlos.
Volker Bauermeister
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|